Nachgefragt: Marc Bermann von Fairtrade Deutschland
Wir haben mit mit Marc Bermann gesprochen. Er ist Leiter der Abteilung Politik und Internationales bei Fairtrade Deutschland und hat zusammen mit seinen Kolleg*innen beim Forum Fairer Handel und dem Weltladen-Dachverband Forderungen zur EU-Wahl erarbeitet.
Lieber Marc, könntest du für uns die Forderungen zur EU-Wahl kurz zusammenfassen?
Sehr viele Menschen werden jener Partei ihre Stimme geben, von der sie glauben, dass sie plausible Antworten auf vor allem drei übergeordnete Fragen bereithält: Wie reagieren wir angemessen auf den fortschreitenden Klimawandel und was ist gute und faire Klimaschutzpolitik? Wie kann die Politik Sicherheit bieten – vor der Ausweitung des Krieges an den Grenzen Europas ebenso wie vor dem wirtschaftlichen Abstieg? Welche Migrationspolitik wird verfolgt? Wir wollen zeigen, dass es eine Verbindung zwischen dem Prinzip des Fairen Handels und einer auf Frieden, Sicherheit und Kooperation ausgerichteten, demokratisch organisierten Politik gibt. Gemeinsam mit unseren Partnern fordern wir als Akteure des Fairen Handels mehr Nachhaltigkeit, zusammengefasst in fünf Kernforderungen: 1. Die Handelspolitik und Handelsabkommen müssen fair werden. 2. Wir brauchen weltweit existenzsichernde Einkommen und Löhne sowie faire Einkaufspraktiken. 3. Wir fordern globale Klimagerechtigkeit – damit den Menschen, die am meisten unter den klimatischen Veränderungen und ihren Nebenwirkungen auf der Erde leiden, mit finanziellen und anderen Mitteln geholfen wird. 4. Wir fordern ferner die Stärkung des Fairen Handels und gemeinwohlorientierter Geschäftsmodelle – also, dass nicht mehr der finanzielle Profit und wirtschaftliches Wachstum alleine, sondern soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit die zentralen Kriterien bei der Bilanzierung von Unternehmen werden und schließlich 5. Dass die öffentliche Beschaffung ebenfalls Kriterien der Nachhaltigkeit folgt.
Bei vergangenen Wahlen gab es für die Bürger*innen immer die Möglichkeit, die Forderungen aktiv bei den Kandidat*innen einzufordern. Ist auch in diesem Jahr eine Beteiligung der Bürger*innen geplant und wenn ja, wie sieht diese aus?
Bei der #FAIRSPRECHEN Aktion werden gezielt Ehrenamtliche und Freiwillige aus dem Umfeld des Fairen Handels aufgefordert, mitzumachen. Für Fairtrade sind das dann beispielsweise Vertreter*innen von Fairtrade-Towns, -Universities, und -Schools, aber auch die FairActivists, Referent*innen und unsere Mitgliedsorganisationen. Unsere Partner, der Weltladen-Dachverband und das Forum Fairer Handel, sprechen natürlich auch ihre Freiwilligen und weitere passende Personengruppen an. Allesamt sind sie wichtige Multiplikator*innen des Fairen Handels, die noch mehr Menschen für unsere Ziele gewinnen können. Prinzipiell steht aber jeder/m Bürger*in offen, sich zu beteiligen. Auf unseren Webseiten stellen wir Materialien, unsere Forderungen und Hintergrundinformationen dazu zur freien Verfügung. Einfach runterladen und auf Kandidat*innen, die sich in diesem Jahr zur Wahl stellen, in ihren Wahlkreisbüros zugehen: Je mehr von uns die Botschaft an die künftigen EU-Politiker*innen herantragen, desto besser!
Die Faire Woche 2024 steht unter dem Motto „Fair. Und kein Grad mehr! #fairhandeln für Klimagerechtigkeit weltweit“. Welche wichtigen Entwicklungen zum Thema Klimagerechtigkeit sind auf EU-Ebene im letzten halben Jahr passiert und was muss künftig passieren, damit die Belange und Wünsche von Bäuer*innen, Arbeiter*innen und Produzent*innen auch nach der Wahl gehört werden?
Direkt auf Klimagerechtigkeit abzielende Maßnahmen haben wir in den letzten sechs Monaten aus Brüssel nicht gesehen. Indirekte Maßnahmen wären – mit Einschränkungen – das gerade verabschiedete europäische Lieferkettengesetz (EUCSDDD), das Unternehmen unter anderem dazu anhält, ihre Aktivitäten in Einklang mit dem Pariser Klimaabkommen zu bringen und Umweltbeeinträchtigungen zu vermeiden, oder – ebenfalls nur bedingt – die Ende Juni 2023 in Kraft getretene EU-Verordnung über entwaldungsfreie Produkte und Lieferketten, wobei in beiden Fällen die Frage der gerechten Kostenverteilung nicht geklärt ist. Im Moment drohen die Kosten für die Umsetzung bei den Kleinbäuer*innen des Globalen Südens hängen zu bleiben; das muss geändert werden. Eine sinnvolle Maßnahme im Sinne der Klimagerechtigkeit, die nicht die EU, sondern die UNO auf der COP28 in Dubai auf den Weg gebracht hat, ist der Loss and Damage Fund (LDF). Aktuell befinden sich ca. 700 Millionen US Dollar in dem Fonds, was aber bisher nur ein sehr geringer Bruchteil dessen ist, was laut der UNO eigentlich benötigt wird: etwa 400 Milliarden. Deshalb ist unsere gemeinsame Forderung nach mehr Klimagerechtigkeit nach wie vor aktuell und dringend. Wie verschaffen wir den Belangen und Wünschen von Bäuer*innen, Arbeiter*innen und Produzent*innen Gehör? Ganz wichtig ist, was jetzt das Lieferkettengesetz fordert: Bei der Risikoanalyse, dem Risikomanagement und der Abhilfe muss man im direkten Dialog mit den Rechteinhabenden stehen und ihre Perspektiven berücksichtigen. Auch helfen würden niedrigere Steuern und Zolltarife für verarbeitete Produkte aus DAC-Ländern, die aus Arbeit mit existenzsichernden Einkommen und Löhnen stammen, sowie allgemein geringere Steuern und Zolltarife für nachhaltige Produkte. Nicht nachhaltige Produkte müssten, im Gegenzug, höher besteuert werden. Man müsste Referenzpreise für existenzsichernde Einkommen und Löhne in einem definierten Zeitraum vorschreiben. All das könnte man künftig in Handelsabkommen durch verbindliche Nachhaltigkeitskapitel festhalten. Es braucht außerdem das EU-Exportverbot für gefährliche Chemikalien, es braucht die strikte Anwendung des EU-Verbots unlauterer Handelspraktiken und des AgrarOLkG Gesetz zur Stärkung der Organisationen und Lieferketten im Agrarbereich – mit einer sinnvollen Überarbeitung: dass Einkaufspreise künftig nicht mehr unter den Erzeugungskosten liegen dürfen. Das wäre fair und in der Gesamtschau der genannten Maßnahmen würde das auch zu besserem Klimaschutz beitragen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Informationen zur Fairsprechen-Kampagne auf der Website von Fairtrade
Informationen zur Fairsprechen-Kampagne auf der Website vom Forum Fairer Handel
Informationen zur Fairsprechen-Kampagne auf der Website vom Weltladen-Dachverband