Nachgefragt: Interview mit Rudi Pfeifer
Jeden Monat stellen wir drei Fragen zur Fairen Woche an eine Person aus der Fair-Handels-Bewegung.
In der aktuellen Ausgabe sprechen wir mit BanaFair-Geschäftsführer, Rudi Pfeifer. Hervorgegangen Mitte der 80er Jahre aus der Nicaragua-Solidaritätsbewegung setzt sich BanaFair für die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der kleinbäuerlichen Bananenproduzent*innen im Globalen Süden ein. Wir haben Rudi zu den Ursprüngen von BanaFair gefragt, welche Rolle Gewerkschaften spielen und welches sein persönliches Highlight in den letzten 20 Jahren Faire Woche war.
Rudi, ihr vertreibt fair und ökologisch produzierte Bananen in Weltläden. Wie kam es dazu?
Das frag‘ ich mich auch oft - nein, im Ernst, es war reiner Zufall, es war nicht geplant und niemand dachte daran, was daraus werden könnte. Wir reden von Mitte der achtziger Jahre, der Hochphase der Zentralamerika-Solidaritätsbewegung, Revolution in Nicaragua, Aufstandsbewegungen und Unterdrückung in El Salvador, Guatemala usw. Wir hatten damals in Hessen ein Netzwerk der Dritte-Welt-Handelsgruppen, das Hessische Forum entwicklungspolitischer Aktionsgruppen (HEFO). Ich gehörte zur Koordinierungsgruppe. Wir saßen an der Planung der nächsten Seminare und einer aus der Runde sagte: "Es soll jetzt auch Bananen aus Nicaragua geben." Und schon hatten wir "angebissen". Hintergrund war das US-amerikanische Handelsembargo, das den nicaraguanischen Bananen ihren traditionellen Absatzmarkt in Kalifornien verschloss. Viel mehr wussten wir nicht. Aber wir wollten Solidarität mit Nicaragua zeigen, planten ein Bananen-Seminar, ein Flugblatt, ein Plakat und eine Broschüre. Bei den Recherchen stießen wir rasch auf die Schweizer "Bananenfrauen" um Ursula Brunner, sogen ihr Wissen und ihre Erfahrungen auf und waren gepackt von ihrer motivierenden Kraft. Auch unser Kampagnenslogan "Wenn schon Bananen, dann aus Nicaragua", war von den Bananenfrauen übernommen. Zu kaufen gab es damals praktisch nur Bananen von den bekannten Multis, keine Bio-, keine fair gehandelten-. Und es gab den einen oder anderen Fernsehbeitrag über unhaltbare Zustände auf den Bananenplantagen Zentralamerikas. Und die Supermärkte voll mit billigen Bananen, billiger als heimische Äpfel, damals wie heute. Aber eine Alternative war auf einmal konkret: Bananen aus Nicaragua, vom Erzeugerland selbst produziert und selbst vermarktet, unabhängig von den marktbeherrschenden Multis. Ziel unserer Aktion war, die Konsument*innen zu informieren und aufzufordern, in ihrem normalen Obstgeschäft nach den Nica-Bananen zu fragen, um so den Absatz anzukurbeln und Nicaragua Devisenerlöse zu verschaffen.
Im Herbst 1986 fand unser Seminar statt und zum 1.Mai 1987, dem Jahrestag des US-Handelsembargos gegen Nicaragua, lief unter dem Dach der AG3WL (heute: Weltladen-Dachverband) eine bundesweite Nica-Bananen-Verkaufsaktion über Dritte-/Eine-Welt-Läden und Soli-Gruppen. Eigentlich dachten wir danach, damit wär's dann auch gut, was gibt's sonst noch für Themen. Aber dann ging es erst richtig los ...
Seit über zwanzig Jahren nun vermarkten wir fair gehandelte Bio-Bananen aus kleinbäuerlicher Familienlandwirschaft von Produzent*innengruppen des Dachverbandes UROCAL in Ecuador, an Weltläden und im Bio-Fachhandel.
Wenn man über Bananen spricht, dann geht es oft um hohe Pestizidbelastungen, geringe Preise für die Produzent*innen und wenig Rechte für die Arbeiter*innen auf den Plantagen. Was macht ihr anders im Vergleich zum konventionellen Handel und wie unterstützt ihr die Arbeiter*innen bei der Durchsetzung ihrer Rechte?
Wir sind sehr früh mit den Gewerkschaften der Plantagenarbeiter*innen in Kontakt gekommen, da wir es in Nicaragua mit Plantagenbetrieben zu tun hatten. Wir haben dort mit der Landarbeiter*innen-Gewerkschaft ATC zusammengearbeitet, v. a. in der Durchführung von verschiedenen sozialen Projekten, Aufbau von Kindergärten, Latrinenbau, Trainings für Frauen, ökologische Programme. Im Grunde waren das Projekte, wie sie damals von vielen Organisationen der Solidaritätsbewegung finanziell unterstützt wurden. In unserem Falle kamen die Mittel aus den Erlösen des alternativen Handels mit den Nica-Bananen in der Schweiz, Belgien und Deutschland.
Anfang der neunziger Jahre, nachdem wir uns intensiv mit dem ganzen Komplex Bananenproduktion und -handel beschäftigt und begonnen hatten, uns in Europa und Lateinamerika weiter zu vernetzen, haben wir die ersten Kontakte nach Costa Rica geknüpft, zu Umweltorganisationen, kirchlichen Gruppen, Gewerkschaften. Es war die Entstehungsphase des "Foro Emaús", einem breiten gesellschaftlichen Bündnis, das sich gegen die unkontrollierte Expansion der Bananenindustrie zur Wehr setzte und mit dem wir viele Jahre lang eng zusammenarbeiteten.
Die Gewerkschafter*innen haben uns zu clandestinen Treffen mitgenommen, bei denen Arbeiter*innen von unsäglichen Arbeitsbedingungen berichteten, willkürlichen Entlassungen, sobald eine Gewerkschaftsmitgliedschaft vermutet wurde usw. Einmal waren wir abends in einer Siedlung auf einer Plantage, die Einraum-Häuser waren vom Unternehmen gestellt, aber das Trinkwasser vergiftet. Wir durften an Versammlungen von Pestizid-Opfern teilnehmen, fast ausschließlich Männer, die durch Kontakt mit hochgiftigen Spritzmitteln gesundheitlich schwerst geschädigt waren, und dazu noch ihre Arbeit verloren hatten, ohne Entschädigung. Wir waren dabei, als bewaffnete "Sicherheitskräfte" Gewerkschaftern den Zugang zur Plantage verwehrten, weil sie auf der Schwarzen Liste standen usw. Mir fallen viele solcher "kleinen" Begebenheiten ein, die sich zu einem Bild fügten: eine agro-industrielle Bananenindustrie, mit fetten Gewinnen für wenige große Unternehmen, Billig-Preisen in unseren Supermärkten, weil die wahren Kosten auf Mensch und Natur in den Produktionsländern abgewälzt sind.
1993 hatte ich das Glück, bei der Gründung von COLSIBA, der Koordination der lateinamerikanischen Bananengewerkschaften, dabei sein zu dürfen. Seit dieser Zeit pflegen wir enge direkte und persönliche Beziehungen zwischen BanaFair und den Gewerkschaften verschiedener Länder.
In diesen frühen Jahren wurde quasi das Fundament gelegt für unser Selbstverständnis als Fair-Handels-Organisation: unabhängige Produktion und Vermarktung von Kleinproduzent*innen zu unterstützen, auch durch aktiven Fairen Handel, eine Ökologisierung der Produktion voranzubringen und die Beschäftigten auf den Großplantagen in ihrem Kampf für Arbeits- und Menschenrechte zu unterstützen. Der letzte Punkt ist für uns tatsächlich von essenzieller Bedeutung, denn es geht um Rechte, die verweigert werden. Für deren Einhaltung sollte es keinen Bonus in irgendeinem privaten Zertifizierungssystem geben, Rechte stehen jedem Menschen bedingungslos zu. Eilaktionen bei widerrechtlichen Entlassungen, öffentliche Kampagnen zur Durchsetzung politischer Forderungen (zuletzt etwa die internationale Kampagne "Make Fruit Fair!") sowie die Bereitstellung von finanziellen Mitteln für die Aufgaben der Bananengewerkschaften gehören untrennbar zu unserer Arbeit. Zurzeit finanzieren wir Anwaltskosten in einem Klageverfahren gegen die fristlose Entlassung einer Gewerkschafterin in Peru und unterstützen den Protest einer costa-ricanischen Gewerkschaft gegen willkürliche Entlassungen ihrer Mitglieder, um zwei kleine Beispiele zu nennen.
Ein Satz der langjährigen Leiterin des Frauensekretariats der costa-ricanischen Gewerkschaften ist mir in Erinnerung: „Ich wünsche mir, dass die Menschen, die eine Banane in die Hand nehmen, daran denken, dass hinter jeder Frucht Schicksale stehen. Und dass wir, die Arbeiterinnen und Arbeiter, es auch verdienen, gut zu leben.“
Dieses Jahr wird die Faire Woche 20 Jahre alt. Ihr habt euch auch oft daran beteiligt – was war dein ganz persönliches Faire Woche-Highlight?
Ich glaube, wir haben uns jedes Jahr daran beteiligt, v. a. mit Rundreisen von Produzent*innen. Diese Rundreisen, die direkte Begegnung zwischen den Menschen, deren Leben von der Bananenproduktion bestimmt ist und den vielen engagierten Menschen hier, die sich für diese Situation interessieren und etwas zur Verbesserung beitragen wollen, sind schon eine ganz besondere Erfahrung, übrigens für alle Beteiligten. Wir hatten über die Jahre sicher fast dreißig verschiedene Gäste hier, die alles mitgemacht haben, Malen und Singen im Kindergarten, Schulbesuche ohne Ende, klassische Vortragsabende, Straßenaktionen vor einem Weltladen, Themenbeiträge im Gottesdienst, Uni-Seminare, Austausch mit hiesigen Landwirt*innen usw. Ich habe selbst etliche Male Gäste begleitet und vor, nach und zwischen den Terminen viel Zeit mit ihnen verbracht. Was mich immer berührt hat, war die Kraft und die Motivation, die von den Begegnungen ausging, fußend auf der herzlichen Aufnahme und Gastfreundschaft und dem ehrlichen Interesse aneinander. Natürlich gibt es unvergessene Momente, etwa mit einem der Bananenbauern, der dreimal zu Besuch war, sich beim ersten Mal völlig fremd und unwohl fühlte, sofort erkältet war und nur heim zu Frau und Kindern wollte. Aber mit jedem Besuch trat er selbstbewusster auf, weil er gemerkt hatte, dass sich die Leute für ihn, seine Arbeit, seine Familie interessierten, eine Wertschätzung, die er dann gerne zurückgab: "Mein Vater war Bananenbauer und mein Großvater, jetzt bin ich es. Aber zum ersten Mal können wir von unserer Arbeit leben, meine Kinder gehen zur Schule und werden studieren. Weil Ihr unsere Bananen kauft."
Vorhin gab es ja schon mal die Frage, was wir anders machen im Vergleich zum konventionellen Handel. Ich denke, dazu gehört auch, dass wir versuchen, die Menschen rund um das Produkt miteinander in eine Beziehung zu bringen, die über das rein Ökonomische hinausgeht. Das machen nicht nur wir so, das gehört ja sozusagen zur DNA von Fairem Handel, so wie ihn Weltläden und Fair-Handels-Organisationen betreiben. Da fällt mir noch was aus der Kategorie "Highlight" ein: 2008, zum 10jährigen Jubiläum unserer Zusammenarbeit mit Urocal, hatten wir uns überlegt, 10 Gäste von Urocal einzuladen, querbeet, Bauern, Mitarbeiter*innen aus dem Büro und von der Spitze des Verbandes sowie fünf junge Musiker aus den Familien der Produzent*innen. Auf parallelen Rundreisen haben wir an die 60 Veranstaltungen absolviert, inklusive zehn stimmungsvollen Konzerten mit "Inti Samán", in ausverkauften Gemeindesälen und vollen Schulaulen. Zuhause spielten sie Rockmusik, aber hier natürlich mit glänzenden Augen als unvermeidliche Zugabe "El Condor Pasa" ... Ich bin felsenfest überzeugt, dass es gerade solche emotionalen Momente sind, die motivieren und bestärken, dass man zusammen an einer anderen Welt arbeitet, es zumindest immer wieder versucht.