„Endlich passiert mal was …!“
Was denken Menschen verschiedener Generationen in Deutschland über die Klimakrise? Christoph Albuschkat vom Weltladen-Dachverband hat sich mit drei Menschen unterhalten und dabei auch erfahren, was sie voneinander lernen können.
Fidelis Stehle ist 24 Jahre alt und studiert Erwachsenenbildung in Köln. Er „lebt fürs Ehrenamt“. Fidelis ist in mehreren internationalen katholischen Jugendverbänden und als FairActivist aktiv. Neben Kaffee und Schokolade stammt auch der Großteil seiner Kleidung aus Fairem Handel
Silke Marek, 47 Jahre, hat zwei Kinder (13 und 16) und wohnt in Mainz. Als Sozialpädagogin ist sie in der Kreisverwaltung Ingelheim zuständig für die Ausbildung und Vermittlung von Tagesmüttern. Fair gehandelte Produkte kauft sie nicht standardmäßig, aber vereinzelt tauchen sie doch zu Hause auf.
Ernst Wittstock ist 88 Jahre alt und wohnt als Rentner in Magdeburg. Er hat in der Lebensmittelforschung gearbeitet. Heute engagiert er sich in einem Kochclub und rettet Lebensmittel. Produkte aus Fairem Handel sind in den Läden in seinem Wohnort nur spärlich vorhanden.
Silke: Mir fällt spontan die Diskussion über das Ozonloch in den 1980er Jahren ein. Die Dimension dieser Problematik fand ich sehr bedrohlich und hatte das Gefühl nichts machen zu können. Ich habe mich gefragt: Was passiert hier eigentlich?
Ernst: Für mich war das Elbehochwasser 2013 ein einschneidendes Erlebnis. Bei uns im Haus stand das Wasser bis an die Kellerdecke. Wir wurden sogar evakuiert. Diese Erfahrung hat die Diskussion über die Klimakrise verstärkt. Auch vorher haben wir Umweltprobleme wahrgenommen, wie zum Beispiel das Waldsterben im Harz. Aber die Klimakrise an sich hat uns das Elbehochwasser ins Bewusstsein gerufen.
Fidelis: Die Klimakrise existiert für mich, seit ich politisch denken kann. Als Bedrohung nehme ich die Krise seit etwa fünf Jahren wahr, kurz bevor es mit Fridays for Future losging. Seitdem habe ich mich auch mehr mit dem Thema auseinandergesetzt.
Ernst: Wir diskutieren recht viel darüber, u. a. mit unseren Söhnen, die das Thema sehr nachdenklich macht. Wir haben auch vor vielen Jahren schon darauf reagiert und unser Haus gedämmt. Uns war klar, dass wir nicht einfach weiter so viel verbrauchen können, zum Beispiel Heizenergie. Wir wollten was ändern, damit es unsere Nachkommen nicht schlechter haben.
Fidelis: Das Erste, was mir dazu in den Kopf kommt, ist das Gefühl der Ungerechtigkeit. Wenn ich mir anschaue, wer schuld an der Klimakrise ist, wer mehr zahlen müsste und wer am meisten darunter leidet, dann ist das schon extrem ungerecht. Auch in Deutschland leiden diejenigen Menschen mehr an den Auswirkungen, die einen geringeren Wohl- und Lebensstandard haben. Aber es kommen auch positive Emotionen hoch, wenn ich daran denke, wie ich mit vielen anderen jungen Menschen Aktionen und Projekte gegen die Klimakrise gemacht habe. Das war sehr empowernd. Wenn ich an die aktuelle Politik denke, kommt mir in erster Linie Kopfschütteln. Es passiert viel zu wenig weltweit. Das lässt bei mir aber auch den Willen entstehen, etwas zu verändern, weil es notwendig ist.
Silke: Früher habe ich Umweltprobleme auch wahrgenommen, aber eher gedacht, dass da einige Dinge nicht so richtig gut laufen. In den letzten fünf bis acht Jahren ist bei mir wirklich ein Gefühl der Bedrohung aufgekommen. Wenn ich die Nachrichten dazu höre, schwanke ich dann zwischen „Oh Gott, wo soll ich anfangen?“ und „Ich kann eh nix machen“ und verdränge es dann oft. Schwierig ist es für mich, wenn meine dreizehnjährige Tochter mich fragt, wie das mit der Umwelt werden soll und ich ihr keine befriedigende Antwort geben kann. Da fehlt die positive Perspektive und das finde ich sehr belastend.
Ernst: Die ist bei mir sehr präsent, zum Beispiel wenn ich bewusst zu Fuß gehe, statt das Auto zu nehmen oder beim Einkauf. Auch im Kochclub spreche ich das oft an, was mir den Ruf eingebracht hat, dass ich oft meckere. Ich backe auch selber Brot. Lebensmittel wegzuwerfen kommt für mich überhaupt nicht in Frage. Ich merke aber oft, dass die Klimakrise bei vielen meines Bekanntenkreises im Alltag entweder nicht präsent ist oder sie für sich selbst Ausreden finden, um beispielsweise doch jede Strecke mit dem Auto zu fahren. Trotzdem werde ich weiter darüber sprechen. Ich möchte schließlich, dass unsere Nachfahren noch genügend Wasser und Luft bekommen.
Silke: Ja, bei mir ist das auch täglich präsent. Die größte Challenge für mich ist die Umstellung vom Auto auf andere Alternativen. In meinem Elternhaus wurde jede Strecke mit dem Auto gefahren. Es fällt mir nicht leicht, es anders zu machen. Ich bleibe aber dran, mehr und mehr die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Beim Einkaufen ist bei mir noch viel Luft nach oben. Immerhin haben wir unsere Bio-Gemüsekiste und das ist auch gut so. Viele Entscheidungen sind dem stressigen Alltag geschuldet. Das ärgert mich und ich würde mir wünschen, dass wir das besser machen. Ich frage mich oft, wo ich anfangen soll. Es überfordert mich doch ganzschön.
Fidelis: Ich habe vor ein paar Jahren einige Dinge grundsätzlich entschieden, was mich jetzt im Alltag entlastet – zum Beispiel, dass ich keinen Führerschein mache und dass ich mich vegan ernähre. Beim Einkaufen habe ich meine Standardprodukte aus Fairem Handel, die oft klimaschonend hergestellt werden. Durch meine damaligen Entscheidungen habe ich meine Routinen verändert. Das ist sehr entlastend. Heute beschäftige ich mich vielmehr mit der Frage, wo die großen Hebel sind, die man umlegen muss, um größere Veränderungen zu bewirken. Zum Beispiel macht es einen großen Unterschied, wenn kirchliche Tagungshäuser auf pflanzenbasierte Verpflegung umstellen. Wie wir das schaffen können, ist eine Frage, die mich in meinem Alltag beschäftigt.
Silke: Ich glaube, „Routinen“ ist ein wichtiges Stichwort, damit man nicht jeden Tag neu überlegen muss, sondern einfach standardmäßig Dinge so oder so macht. Genau wie beim Sport. Den habe ich irgendwann bewusst angefangen und dann in meinen Alltag integriert. Nun ist er zu einer Gewohnheit geworden.
Ernst: Auf jeden Fall. Bei uns in der Familie wird die Klimakrise ganz unterschiedlich thematisiert. Von unseren drei Söhnen haben zwei ganz bewusst kein Auto. Wenn ein Auto benötigt wird, dann nur über Car Sharing. Unsere Enkel verzichten gern auf Fleisch auf dem Essenstisch. Lebensmittel werden bei uns auch nicht weggeworfen. Bei unserem Kochclub sieht das meistens anders aus. Da ist es schwer, die Botschaft „Lebensmittelrettung“ an die Menschen zu bringen.
Silke: Wir sprechen manchmal mit meinen Eltern und Familie darüber. Ihre Reaktion ist aber ernüchternd. Sie finden, dass andere anfangen sollten und ihr Beitrag nicht zählen würde. Ganz dem Motto „Was sollen wir denn daran ändern!“. Auch im Bekanntenkreis wird darüber diskutiert, aber das Handeln umzustellen fällt vielen schwer. Da wird die Flugreise trotzdem gebucht. Meine Tochter bringt die Klimakrise immer wieder in die Familie.
Fidelis: Ja schon. Beispielsweise, wenn ich zu meinen Eltern zu Besuch fahre und ich die Wärmeversorgung des Hauses anspreche. Besonders mit Menschen aus anderen Generationen und nicht aus meiner eigenen Bubble diskutiere ich viel und kontrovers.
Ernst: Ich bewundere die junge Generation, wie konsequent sie die Klimakrise thematisiert und sich für Veränderungen einsetzt. Auch das mit dem Festkleben finde ich gerechtfertigt, um das Thema in den Fokus zu rücken. Viele Ältere schalten bei dem Thema ab.
Fidelis: Ich finde es sehr beeindruckend, ältere Menschen zu treffen, die sich schon seit ihrer Jugend mit Aktionen und Kampagnen für Umweltschutz einsetzen. Sie haben so viel Wissen und sind häufig auch Expert*innen. In meiner internationalen Arbeit kann ich aber auch von Menschen meiner Generation viel lernen, die als Kleinbäuer*innen im Globalen Süden oder als Bewohner*innen von Inseln im Pazifik schon viel stärker von der Klimakrise betroffen sind. Lernen kann ich von allen Generationen und vorallem von Menschen in anderen Ländern und Kontexten.
Silke: Ich habe von meinen Eltern eine Wertschätzung für gute Lebensmittel gelernt. Ich sehe, wie wichtig es ist Lebensmittel lokal, saisonal und aus nachhaltigem Anbau zu beziehen. In Bezug auf die jüngere Generation bin ich beeindruckt, wie viel sie schon wissen und wie engagiert sie im Hinblick auf die Klimakrise sind. Ich muss auch ehrlich sagen, dass mich das ein Stück weit entlastet, weil ich denke, endlich passiert mal was. Manchmal braucht es vielleicht radikalere Wege, um etwas zu verändern. Deswegen verteidige ich auch die jungen Aktivist*innen mit Haut und Haaren, wenn mein Umfeld mal wieder gegen sie wettert.
Ernst: Ich glaube die breite Masse erreicht man über die Preisgestaltung von Produkten. Der Staat müsste hier eingreifen. Produkte, die klimabelastend sind, müssten entsprechend besteuert werden. In Deutschland kann ich mir das vorstellen, für andere Länder mit einer schwächeren Wirtschaft ist das kein Lösungsansatz.
Fidelis: Da gibt es viele Ansätze. Wir brauchen beispielsweise ein stärkeres Lieferkettengesetz, welches Menschen und die Umwelt stärker schützt. Eine faire Preisgestaltung für Produkte, wie Ernst gesagt hat, kann ich mir vorstellen. Ein Klimageld als wichtiger Hebel ist meines Erachtens längst überfällig. Aber auch jede*r Einzelne kann was machen: Politisch wählen und darauf hinwirken, dass die fossilen Energieträger nicht mehr benötigt und genutzt werden. Faire, regional und biologisch erzeugte Lebensmittel kaufen und sich in der eigenen Kommune dafür einsetzen, dass diese klimaneutral wird. Dass Wichtigste ist: Wir müssen anfangen was zu tun und erkennen, dass wir aktuell nicht den richtigen Weg einschlagen. Es muss sich was ändern.
Silke: Ich glaube die Politik hat die Hebel in der Hand was zu ändern. Aber die Gesellschaft muss die Politik an deren Verantwortung erinnern. Demonstrationen von Fridays for Future sind ein gutes Mittel die Botschaften laut und eindeutig publik zu machen. Gesellschaft muss ihr Anliegen zum Ausdruck bringen durch Wahlen, Protest und Aktionen. Menschen müssen in die Öffentlichkeit treten und ihre Wünsche an die Politik äußern.